Jedes Lebensmittel zählt – gemeinsam weniger wegwerfen

Mann schreibt eine To Do Liste. Er ist nur halb im Bild zu sehen.

In Deutschland entstehen jährlich rund elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wie wir das gemeinsam ändern können erläutert Ernährungsexpertin Rena Jacobs.

1. Was bedeutet Lebensmittelverschwendung?

Lebensmittelverschwendung bedeutet, wenn Lebensmittel nicht gegessen werden, die ursprünglich für den menschlichen Verzehr bestimmt waren. Eine einheitliche Definition des Begriffs gibt es aber nicht. Laut Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization of the United Nations, kurz FAO) resultiert Lebensmittelverschwendung aus Lebensmittelverlusten und -abfällen. Sie entstehen entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Erzeugung bis zum Verbrauch. Es gibt verschiedene Gründe, warum Lebensmittel in der Tonne landen.

Lebensmittelverluste entstehen durch Probleme im Ernährungssystem während der Ernte, der Lagerung, beim Verpacken oder beim Transport. Sie sind der Anteil, der verloren geht oder verdirbt, bevor das Produkt fertig beziehungsweise im Handel ist. Ursachen können nicht vorhandene Lager- und Kühltechnik, mangelhafte Transportmöglichkeiten oder Kapazitätsgrenzen in der Lieferkette sein. Beispiel: Lebensmittel verderben, weil sie nicht in ein Kühlhaus abtransportiert werden können. Weitere Gründe für Lebensmittelverluste sind Pflanzenkrankheiten, Schädlingsbefall oder klimatische Faktoren.

Der Begriff Lebensmittelabfall bezieht sich auf die Entsorgung von Lebensmitteln, die für den menschlichen Verzehr geeignet gewesen wären. Ursachen können eine geringe Nachfrage im Handel, aber auch falsche Lagerung oder Überbevorratung in Privathaushalten oder in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung sein.

2. Was sind die Ursachen für Lebensmittelverschwendung?

Von der Erzeugung bis zum Verbrauch – aus verschiedensten Gründen gehen bei uns Lebensmittel verloren oder landen im Abfall. Qualitätsvorgaben seitens der Wirtschaft, rechtliche Vorgaben und auch Konsumgewohnheiten spielen dabei eine Rolle. In der Landwirtschaft verderben Erzeugnisse beispielsweise durch Schädlingsbefall oder müssen entsorgt werden, weil sie optischen Anforderungen nicht genügen. In der Industrie entstehen Lebensmittelverluste etwa durch Transportschäden, falsche Lagerung oder technische Störungen bei der Produktion. 

Auch die interne Qualitätssicherung und Überproduktion tragen hierzu bei. Im Groß- und Einzelhandel bewirken unter anderem handelseigene Produktvorgaben sowie Erwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher, dass Erzeugnisse nicht vermarktungsfähig sind oder liegen bleiben und entsorgt werden. In der Gemeinschaftsgastronomie ist vor allem die schwer kalkulierbare Nachfrage ein entscheidender Faktor. Dazu kommen falsche Lagerung, strenge Hygiene- und Produktvorschriften sowie zu groß kalkulierte Portionen für die Tischgäste. In der Gemeinschaftsverpflegung werden Lebensmittel unter anderem deswegen weggeworfen, weil zu viel gekocht und/ oder zu viel in Schüsseln und Co. ausgegeben wurde.

3. Was sind vermeidbare Lebensmittelabfälle?

Der grade abgelaufene Joghurt, die ziemlich reife Banane, das nicht verkaufte Brot – Lebensmittel, die zum Zeitpunkt der Entsorgung noch genießbar sind oder bei rechtzeitigem Verzehr genießbar gewesen wären, gelten als vermeidbare Abfälle. Sie kommen in allen Sektoren vor. In der Außer-Haus-Verpflegung wären bis zu 50 Prozent der Lebensmittelabfälle vermeidbar. 

Nicht vermeidbare Lebensmittelabfälle sind zum Beispiel nicht essbare Bestandteile von Lebensmitteln wie Bananenschalen oder Knochen. Teilweise vermeidbar sind Lebensmittelabfälle, die aufgrund von Gewohnheiten entstehen, beispielsweise weggeworfene, aber eigentlich essbare Gurken- oder Apfelschalen.

4. Wo entstehen die meisten Lebensmittelabfälle?

Mit 59 Prozent am Gesamtaufkommen entsteht der Großteil der Lebensmittelabfälle in privaten Haushalten. Jede Privatperson wirft demnach etwa 78 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg inklusive nicht essbarer Anteile wie Nussschalen oder Knochen. Erhebungen zeigten auch: Je jünger die haushaltsführende Person, desto mehr potenziell verwertbare Lebensmittel werden weggeworfen. Haushalte mit älteren Personen werfen tendenziell weniger weg.

In der Außer-Haus-Verpflegung fallen 17 Prozent der Abfälle an, gefolgt vom verarbeitenden Sektor mit 15 Prozent und dem Handel mit 7 Prozent. Der Landwirtschaft werden nur circa 2 Prozent der Abfallmenge zugeschrieben. Dieser Wert kommt auch dadurch zustande, dass überschüssige und verdorbene Lebensmittel häufig betriebsintern verwertet (Biogasanlage etc.) und in der Statistik nicht erfasst werden. Gleiches gilt für Verluste, die vor oder während der Ernte bzw. Schlachtung entstehen.

5. Wie viele Lebensmittel werden jährlich weltweit weggeworfen?

Weltweit wird ein Drittel der produzierten Lebensmittel entsorgt. Das entspricht einer Menge von 1,6 Milliarden Tonnen. Die größten Wegwerfraten pro Kopf waren laut FAO 2018 in den USA, Belgien und Kanada zu verzeichnen.

In Deutschland summierte sich die Abfallmenge 2020 auf 11 Millionen Tonnen, die an essbaren und nicht essbaren Lebensmitteln in der gewerblichen Abfallentsorgung oder der Heimkompostierung gelandet sind. Wollte man diese Menge transportieren, wären dazu 275.000 Sattelschlepper notwendig. 

6. Was sind die Folgen der Lebensmittelverschwendung?

Lebensmittelverschwendung verbraucht erhebliche Ressourcen, belastet die Umwelt und ist ethisch bedenklich.

Wertvoller Ackerboden, Wasser und Dünger, Energie für Ernte, Verarbeitung, Transport und Entsorgung – jedes Lebensmittel verbraucht kostbare Ressourcen. Der World Wide Fund For Nature (WWF) Deutschland schätzt, dass durch vermeidbare Lebensmittelverluste eine Fläche von über 2,6 Mio. Hektar eingespart werden könnte. Das sind fast 15 Prozent der gesamten Fläche, die wir in Deutschland für unsere Ernährung benötigen.

Laut Umweltbundesamt machten Lebensmittelverluste 2015 allein in Deutschland ungefähr 4 Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen aus. Weltweit verursachen Lebensmittelverluste Treibhausgasemissionen in Höhe von mehr als drei Gigatonnen. Wäre dieser Bereich ein Land, würde er nach den USA und China die drittgrößte Menge an Treibhausgasen erzeugen.

Gleichzeitig ist es ein ethisches Problem. Während die Weltproduktion für Lebensmittel theoretisch ausreicht um 12 Mrd. Menschen zu ernähren, haben bei der aktuellen Weltbevölkerung von rund 7,84 Mrd. über 828 Mio. Menschen nicht genug zu essen.

Überangebote und die Überproduktion führen in Industriestaaten zu einem leichtfertigen Umgang mit Lebensmitteln, die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen erhöht sich. Dadurch wiederum steigen die Preise für wichtige Grundnahrungsmittel, wovon arme Länder besonders betroffen sind. In ärmeren Ländern hingegen fehlen häufig Möglichkeiten für die passende Lagerung oder den Transport.

7. Was kann die Kindertagesbetreuung beitragen?

Deutschland hat sich dem Ziel der Vereinten Nationen verpflichtet, die Lebensmittelverschwendung bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Alle Akteurinnen und Akteure der Lebensmittelversorgungskette, wozu auch die Kindertagesbetreuung zählt, sind hier gefragt sich einzubringen. Und es gibt viele tolle Möglichkeiten, wie wir alle Lebensmittel retten können! Unspektakulär aber äußerst wirkungsvoll (Beispiele): 

  • Planung: bedarfsgerecht kalkulieren und bestellen.
  • Lagerung: optimal ist kühl oder dunkel.
  • Einkauf: Gemüse und Obst trotz kleiner Abweichungen kaufen.
  • Ernten: Gemeinsam Obst von freigegebenen Obstbäumen pflücken und verarbeiten.
  • Messung: Lebensmittelrest (z. B. in der Kita-Küche, in den Gruppen) stichprobenartig ermitteln bzw. auswiegen und Einsparpotential erkennen.
  • Reste: bei sachgerechter Lagerung kreativ weiter verwerten.