Bildungs-Pizza

Bildungspizza Aufmacher Kacheln

Ernährung als tägliche Bildungschance begreifen

Tagespflege, Krippe, Kita oder Familienzentrum sind als „Werkstätten des Lernens“ prädestiniert dafür, allen bei ihnen betreuten Kindern gleichermaßen den Zugriff auf Bildung zu ermöglichen. Immerhin rund tausend Tage geht ein Kind in eine vorschulische Einrichtung. Tausend Chancen für Ernährungsbildung und damit zur Entwicklung eines günstigen Essverhaltens!

Im Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich des Niedersächsischen Kultusministeriums findet eine Konkretisierung des dazugehörigen gesetzlichen Bildungsauftrags statt. Über das Instrument für die Bildungsarbeit mit Drei- bis Sechsjährigen hinaus sind ergänzend Handlungsempfehlungen für „Sprachbildung und Sprachförderung“ sowie „Die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren“ formuliert.

Mit „Emotionale Entwicklung und soziales Lernen“ und „Entwicklung kognitiver Fähigkeiten und der Freude am Lernen“ sind zwei darin verankerte Bildungsziele beschrieben, die durch weitere Lernbereiche und Erfahrungsfelder komplettiert werden:

  • Körper – Bewegung – Gesundheit
  • Sprache und Sprechen
  • Lebenspraktische Kompetenzen
  • Mathematisches Grundverständnis
  • Ästhetische Bildung
  • Natur und Lebenswelt
  • Ethische und religiöse Fragen, Grunderfahrungen menschlicher Existenz

Ausstattung und Material, aber auch (pädagogische) Angebote sollten so gestaltet sein, dass Kinder in der Tageseinrichtung Anreize zur Weiterentwicklung im eigenen Tempo vorfinden. Wird hierbei die Küche als der Bauch der Einrichtung bzw. synonym Essen und Trinken verstanden, können sich daraus vielfältige Bildungsimpulse ableiten lassen. Denn Ernährung ist mehr als die gemeinsame Einnahme von Zwischen- und Mittagsverpflegung während der Betreuungszeit ‒ im Erleben von Mahlzeiten steckt so viel mehr Potenzial! Davon sind wir von der Vernetzungsstelle Kitaverpflegung Niedersachsen überzeugt. Ernährungsbildung und die Vermittlung lebenslang wirksamer Alltagskompetenzen sind ein Thema für jeden Tag. Es gibt zahlreiche Bildungsanlässe, bei denen Kinder, an ihrem individuellen Entwicklungsstand und ihren Bedürfnissen ausgerichtet, Erfahrungen für das zukünftige Leben sammeln können.

Bildungsprozesse bauen spielerisch auf einzelnen individuellen Entwicklungsstufen auf

Um zu veranschaulichen, dass sowohl bei der gemeinsamen Zubereitung, z. B. im Rahmen pädagogischer Angebote, als auch in der Mahlzeitensituation enorm viele Lerngelegenheiten geschaffen werden können, haben wir eine virtuelle Bildungs-Pizza „gebacken“ ‒ exemplarisch mit einer Auswahl der für Niedersachsen gültigen Bildungsziele „belegt“.

1. Körper ‒ Bewegung – Gesundheit

Bewegung ist die Basis für Bildung! Kinder nutzen sie, um sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen und sich neue Begriffe zu erschließen. Aus motorischen Fähigkeiten wie „greifen“ und „fassen“ ergeben sich „begreifen“ oder „erfassen“ als kognitives Pendant. Beim Einbeziehen der Kinder bei Tätigkeiten wie dem Eindecken oder Abräumen ist körperliche Koordination gefragt.

Im Umgang mit Lebensmitteln bzw. in der Esssituation stecken folgende Ansätze:

  • Selbständigkeit, entwicklungsentsprechende Haltegriffe (z. B. Dreipunktgriff) und Hand-Augen-Koordination beim Essen trainieren
  • durch Kauanreize Mundmotorik stärken und damit zu Sprachentwicklung, Resilienzförderung, Vernetzung von Gehirnhälften etc. beitragen
  • durch fachkundige Zusammenstellung von Lebensmitteln zu Mahlzeiten dem kindlichen Essverhalten eine gesundheitsfördernde Richtung geben
  • durch Hände waschen, sachgerechtes Niesen und/oder Husten Gesundheitsbewusstsein für sich und das Umfeld fördern
  • Bewegung am Tisch angemessen ausführen
  • mit Fantasiereisen bzw. Entspannungsspielen (u. a. „Tauch in Deinen Bauch“, „Rücken-Küche“) die Wahrnehmung für den eigenen Körper fördern und zur Ruhe kommen können

2. Sprache und Sprechen

Sprache ist ein Tor zur Welt! Kinder gestalten Beziehungen unter anderem durch Sprache – einem wichtigen Kommunikationsmittel. Möchte man etwa seinen Gefühlen und Gedanken Gehör verschaffen, braucht man neben einem guten Gespür für den eigenen Körper vor allem einen entsprechenden Wortschatz, um beispielsweise Sinneseindrücke präzise und gleichwohl differenziert mitteilen zu können. Essen ist mehr als das Stillen von Grundbedürfnissen – es ist ein vielschichtiges sinnliches Erlebnis und bietet jede Menge Sprachanlässe: Ausgedrückt werden kann z. B., was man bei Lebensmitteln sieht (Farbe, Form), was man riecht, schmeckt und das dazugehörige Gefühl (Konsistenz), das Speisen im Mund hinterlassen. Zur näheren Beschreibung von Lebensmitteln haben wir Ihnen eine facettenreiche Sammlung von möglichen Wörtern zusammengestellt, die den Wortschatz erweitern helfen können und der Sprachförderung auch von Nicht-Muttersprachlern dienen können. Zudem bieten sich folgende Lernanlässe:

  • Dinge im hauswirtschaftlichen Bereich konkret benennen
  • sprachliche Rituale in Form von Tischsprüchen
  • Kommunikationsregeln bzw. Umgangsformen beim Essen besprechen
  • Sinneseindrücke von Lebensmitteln beschreiben (Farbe, Form / Beschaffenheit, Geruch, Geräusch, Haptik), dabei den Wortschatz erweitern und verfeinern
  • mit (Lebensmittel-)Wörtern „spielen“: Reime und Verse bilden oder gemeinsam Geschichten ausdenken, z. B. über die „Peperoni-Prinzessin“, den „Kleinen Kirschkern“ oder „Nachts auf der Obstplantage“
  • Ernährungsbilderbücher und bebilderter Speiseplan ermöglichen Sprachanlässe
  • Zutaten benennen, aus denen Speisen zusammengesetzt sind

Kindliche Erfahrungen mit (Bilder-)Büchern und Lese- bzw. Erzählkultur (Literacy) sind zentraler Bestandteil sprachlicher Bildung – der fachkundige Umgang mit Medien eine elementare Fähigkeit. Beim Bundeszentrum für Ernährung (BZfE), örtliche Bibliotheken oder Buchläden kann man eine Auswahl entsprechend anbieterunabhängiger Literatur mit ernährungspädagogischem Bezug finden.

3. Lebenspraktische Kompetenzen

Kinder erlangen eine Vielzahl von Fähigkeiten und Fertigkeiten, indem sie sich an erwachsenen Bezugspersonen orientieren und diese imitieren, beispielsweise indem sie auf ihre eigene Weise und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Sand-Kuchen backen, einen Kaffeeklatsch veranstalten, im Kaufmannsladen erlebte Einkaufsituationen nachspielen usw. – und das ganz ohne Lehrplan. Alltagssituationen bieten ein breites Spektrum. Kinder bringen bereits einen Pool an Erfahrungen mit, den sie sich im Elternhaus angeeignet haben, und erwerben neue in der Tageseinrichtung dazu. Die meisten Kompetenzen werden sie ein Leben lang begleiten und zur Entfaltung ihrer eigenständigen Persönlichkeit beitragen.

„Hilf mir, es selbst zu tun“ – Maria Montessori zufolge kommt dieses Bildungsziel einmal mehr dem Autonomiebestreben der Kinder zupass und ermöglicht das Erleben von Selbstwirksamkeit; der Umgang mit Essen und Besteck trainiert die Feinmotorik, und beim hygienisch einwandfreien Umgang mit Lebensmitteln oder dem damit verbundenen Händewaschen wird der eigene Gesundheitsschutz in den Mittelpunkt gerückt. Das können Kinder lernen:

  • Geschicklichkeitstraining beim Abwaschen, Schälen und Schneiden von Lebensmitteln mittels „echter“ Küchenutensilien oder beim Eingießen von Getränken
  • mit Besteck umgehen können und dabei sich zutrauen, eine passende Auswahl des Bestecks zu treffen
  • eingebunden sein in hauswirtschaftliche Aufgaben, dabei Schritt-für-Schritt-Anleitungen folgen
  • wiederkehrende Arbeiten im Kitaablauf integrieren wie etwa der Einkauf für das gemeinsame Frühstück
  • Gefahrensituationen in der Küche erkennen

4. Mathematisches Grundverständnis

Bereits Säuglinge beginnen mit dem mannigfaltigen Zuordnen von Geräuschen, Stimmen oder Gesichtern und dem Wahrnehmen von Mustern. Der entwicklungsangemessene Zahlenraum kann im Kontext Ernährung durch Begriffe wie „mehr“ oder „weniger“, „viel“ oder „wenig“, „leicht“ oder „schwer“ sowie Größenunterschiede entdeckt werden. Zählen lässt sich im Kleinen bereits integrieren, zum Beispiel beim Eindecken der Gruppentische mit der benötigten Anzahl an Tellern, Gläsern und Besteck vor dem Essen.

Letzten Endes bahnt sich durch Lernerfahrungen wie das Teilen „Eins für dich und eins für mich“ die Fähigkeit zu zählen an und bildet somit den Grundstock für das spätere mathematische Verständnis.

  • Zahlen-Land erkunden durch Zählen, Abzählen, Zählreime usw.
  • Auseinandersetzung mit Zeitbegriffen (morgens, mittags, nachmittags, abends) durch unterschiedliche Essenszeiten, den Wochentagen, z. B. über den Speiseplan und Monaten durch jahrzeitlich unterschiedliches Lebensmittelangebot
  • Maßeinheiten kennenlernen, etwa beim Wiegen oder Abmessen von Lebensmitteln, durch Temperaturen ablesen in der Kinder-Küche
  • Experimentieren mit Gewichten und Masse von Nahrungsmitteln

5. Ästhetische Bildung

Die eigene Umwelt mit allen Sinnen begreifen: Beim Begriff Ästhetik geht es über, die „Lehre von Schönheit und Harmonie“ hinaus, um die Wahrnehmung des eigenen Lebensumfelds als Basis für Lern- und Entwicklungsprozesse.

Verschiedene Sinnesbereiche werden von unterschiedlichen Formen der ästhetischen Bildung angesprochen. Beim Essen und Trinken zum Beispiel wird über das Auge die Dekoration des Tisches erfasst – ein farbenfrohes, kindgerechtes Arrangement der Gerichte auf dem Teller bringt kleine Tischgäste auf den Geschmack. „Das Auge isst mit“ kennen wir als passende Redewendung dazu. Zudem kann Ernährung bei der musikalischen Früherziehung oder beim künstlerischen Gestalten aufgegriffen werden, etwa dann, wenn mittels Küchenutensilien Töne erzeugt oder kleine Konzerte gegeben werden oder eine selbstgebastelte Ernährungspyramide entsteht. Ästhetische Bildung eröffnet vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten:

  • jahreszeitliche Dekoration der Esstische mit Naturmaterialien vom Feld
  • Lebensmittel-Kunst auf dem Teller entstehen lassen, z. B. aus Pappmaché und anderem Bastelmaterial, Gemüse- oder Obstmandalas legen, etc.
  • Tischmanieren verabreden und üben
  • bekannte Lieder mit Ernährungsbezug singen („Guten Appetit“, „Wie die im Garten mit Vornamen heißen“), durch eigene Kompositionen ergänzen
  • Esssituation geräuschreduziert gestalten, damit bei Mahlzeit Ruhe und Besinnung möglich ist
  • gemeinsam Zubereitetes ansprechend anrichten und servieren
  • ein Theaterstück oder Rollenspiel inszenieren („Gemüse-Theater“, „Der Bratkartoffelkönig“ o. ä.)

6. Natur und Lebenswelt

Kinder erforschen und entdecken ihre Umwelt spielerisch und begegnen ihr voller Neugier. Gesetzmäßigkeiten der Natur erschließen sie sich unermüdlich durch eigenes Ausprobieren und Experimentieren. Die Beschaffenheit von Lebensmitteln erfährt und begreift der Nachwuchs beispielsweise durch kleine Versuche, die Antworten auf Fragen finden lassen wie: Was geschieht mit aufgekochter Milch, in die Zitronensaft gerührt wird? Warum verändert sich Sahne, wenn man sie lang genug geschüttelt? Wann drehen sich einige Hühnereier schneller um die eigene Achse als andere, und weshalb verfärbt sich die Schnittfläche eines Apfels oder einer Kartoffel?

Das Beobachten von lebensnahen Naturphänomenen kann durch gemeinsame Pflanz- und Ernteaktionen im kitaeigenen Gärtchen ebenso fortgesetzt werden wie beim gemeinsamen Kochen oder bei bewährten Kim-Spielen. Diese ermöglichen neben dem Training der Merkfähigkeit die Genusstauglichkeitsprüfung von Lebensmitteln durch verschiedene Geschmacks- und andere Sinneseindrücke und regen damit zum wertschätzenden, nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen an. Lernimpulse in folgenden kleinen Lernwerkstätten setzen:

  • Element Feuer am Beispiel Outdoorkochen im Lehmofen oder Feuerschale ergründen
  • Element Erde am Projekt „Kompost anlegen“ vermitteln und dabei Möglichkeiten der Restverwertung bzw. natürlicher Kreisläufe kennenlernen
  • im Hochbeet bzw. auf einer Parzelle im Außengelände verschiedene Gemüse, Kräuter o. ä. anbauen
  • auf Streuobstwiesen oder in Feld und Flur ernten gehen
  • Gesetzmäßigkeiten bzw. Ursachen-Wirkzusammenhänge analysieren, etwa mit Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen, aber auch beim Vor- und Zubereiten von Grundnahrungsmitteln (am Beispiel Mais, Kartoffeln, Eiern usw.)
  • Geräuschmemories, Riechdosen oder Tastbeutelchen mit Lebensmitteln anbieten
  • durch Ausflüge / Exkursion zu Lernorten außerhalb der Kita (z. B. benachbarter Schrebergartenverein, essbare Gärten, Bauernhof, Backstube etc.) das gewohnte Umfeld verlassen und dabei die Herkunft bzw. den Ursprung und die Saison von Lebensmitteln erkunden

7. Ethische und religiöse Fragen, Grunderfahrungen menschlicher Existenz

Bei der Suche nach Orientierung versuchen Kinder, Antworten zu finden und setzen sich dazu auch mit existentiellen Fragen auseinander. Indem man ihnen etwas zutraut (etwa beim eigenständigen Essen), sie ermutigt und motiviert stärkt man ihre Persönlichkeit, fördert ihre Handlungsergebniserwartung und ermöglicht Basiserfahrungen wie Geborgenheit, Achtung, Toleranz, Wertschätzung und Rücksichtnahme. Das wiederum erhöht die individuelle Resilienz, die bei biographischen Einschnitten im späteren Leben wertvoll sein kann.

Aspekte dieses Bildungsbereiches im Kontext Ernährung können in strukturgebenden Ritualen bei der Gemeinschaftserfahrung von Mahlzeiten ebenso gesehen werden wie die damit verwobene Auseinandersetzung und Identifikation mit gesellschaftlich etablierten Werten und Normen. Bei Tisch bekommen Kinder etwas von kultureller und religiöser Vielfalt und Traditionen mit z. B. durch:

  • interkulturelle Speisen
  • die Ausrichtung von Festen und Feiern mit traditionellen Gerichten im Jahresverlauf
  • gemeinsame Rituale wie dem Tischspruch oder -gebet vor Beginn einer Mahlzeit
  • Verhaltensregeln beim Essen
  • Übertragung von Verantwortung, beispielsweise für das Tischdecken
  • das gerechte Aufteilen des Essens unter allen kleinen Tischgästen
  • das (Vor-)Leben von Hilfsbereitschaft, gegenseitiger Unterstützung und Toleranz anderen Kindern gegenüber
  • sich ausprobieren können mit verschiedenen Esswerkzeugen

Haben wir wesentliche Aspekte übersehen? Dann möchten wir gern von Ihrem Erfahrungsschatz profitieren. Lassen Sie uns daran teilhaben indem Sie uns Ihre Anregungen z. B. per E-Mail schicken. Wir ergänzen dann die Bildungs-Pizza.